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Angekündigte Stationierung weitreichender US-amerikanischer Waffen in Deutschland

USA planen die erneute Stationierung von Langstreckenwaffen in Deutschland. Beim NATO-Gipfel in Washington im Mittelpunkt stand die Ukraine, aber auch die neue Strategie der US-Regierung, um ein klares Signal nach Moskau zu schicken. Die Unterstützung der Ukraine unter eine mögliche Trumps Regierung war auch im Fokus des Treffens. Die NATO bereit sich auf eine Rückkehr Trumps vor, und eine wichtige Frage ist: wie bereitet sich die deutsche Außen- und Innenpolitik auf Donald Trump vor? Donald Trump wurde sich womöglich auf die NATO verlassen, dann musste Deutschland auf die NATO mehr Verantwortung übernehmen? Der Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bei einer Pressemitteilung nach dem Gipfel lautet:  «Deutschland ist das größte Land in Europa innerhalb des NATO-Bündnisses. Daraus erwächst uns eine ganz besondere Verantwortung und das kann ich hier ganz klar und deutlich sagen: Wir werden und -ich werde – diese Verantwortung gerecht werden.»

Bundeskanzler Olaf Scholz. Quelle: Michael Kappeler/dpa
Bundeskanzler Olaf Scholz. Quelle: Michael Kappeler/dpa

«Es ist sehr wichtig, eine Botschaft an den Kreml zu senden», fügte Alexander Stubb, Präsident Finnland hinzu. Aus eigener Initiative der Bundesrepublik Deutschland und der US-Regierung wurde die Ukraine zum Gipfel nicht eingeladen, um eine mögliche auch gefährliche Eskalation zu verhindern. In der Ausschlusserklärung wurde im Rande des Gipfels bekannt weitreichende Lieferungen an die Ukraine von F-16 Kampfjets. Wolodymyr Selenskyj bedankt sich in einer Video-Botschaft.

Es geht auch um eine angekündigte Stationierung von Langstreckenwaffen in Deutschland. Mit dieser Ankündigung hat vor Beginn des NATO-Gipfels fast kaum gerechnet. Die USA wollen vor 2026 wieder Waffen in Deutschland stationieren, die bis nach Russland reichen. Kritiker sprechen von einem Rückfall in den Kalten Krieg. Man muss auch nicht vergessen, dass Russland jahrelang Raketen getestet hat, und selbst kann man in der Ukraine die Folgen und Vernichtungsfähigkeiten solcher Waffen beobachten.

Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90 / Die Grüne) hat die Entscheidung verteidigt.

Die deutsche Außenministerin Annalena Baerbock verteidigt in einer Pressekonferenz die Stationierung von US-Raketen in Deutschland zur Stärkung der Verteidigungsbereitschaft Europas angesichts zunehmender Spannungen mit Russland. Die Außenministerin argumentierte, dass «dieser Schritt notwendig sei, um die Sicherheit Deutschlands und die Stabilität in der EU zu gewährleisten.» Laut Baerbock «das ist wesentlich, dass wir nicht nur reden, sondern auch konkrete Maßnahmen ergreifen, um die Verteidigungsfähigkeiten der NATO zu stärken.»

Außenministerin Annalena Baerbock
Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) gibt beim Nato-Gipfel ein Pressestatement. Quelle: dpa

 

Eine Strategie gegen Putin

Kremlchef Wladimir Putin habe «Das Arsenal, mit dem er unsere Freiheit in Europa bedroht, kontinuierlich ausgebaut», sagte die Außenministerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. «Dagegen müssen wir uns und unsere baltischen Partner schützen, auch durch verstärke, Abschreckung und zusätzliche Abstandswaffen.»

Auszug Pressekonferenz, 15.07.2024

Alle Rechte des folgenden Textes sind dem Auswärtigen Amt vorbehalten

Die folgenden Abkürzungen werden benutzt: 

BReg – Bundesregierung

AA – Auwärtiges Amt

BMVg – Bundesministerium der Verteidigung

Frage

Herr Hebestreit, es gab ja am Rande des NATO-Gipfels die Bekanntgabe der Stationierung amerikanischer neuer Waffen in Deutschland. Das ist unter anderem auf Kritik gestoßen. Ist sich die Bundesregierung sicher, dass es bei dieser Stationierung auch dann bleibt, wenn es einen Regierungswechsel in den USA geben sollte?

Hebestreit (BReg)

Da versuche ich ein bisschen, Ihre Frage mit dem davor Gesagten in Verbindung zu bringen. Geht es Ihnen darum, über die Kritik zu sprechen, oder geht es Ihnen darum, wie wahrscheinlich es ist, dass die Stationierung tatsächlich stattfinden wird?

Zusatzfrage

Wie wahrscheinlich ist es, dass die Stationierung auch unter einem Präsidenten Trump stattfinden wird?

Hebestreit (BReg)

Erst einmal gehen wir davon aus, dass, wenn die amerikanische Regierung eine solche Ankündigung macht, sie dann auch, egal wie die Regierung ab dem 20. Januar des nächsten Jahres aussehen wird, befolgt werden wird. Ansonsten können wir darüber nicht spekulieren, sondern müssen abwarten.

Vielleicht gehe ich den Schritt zurück: Diese Entscheidung der amerikanischen Administration, im Jahr 2026 diese weitreichenden konventionellen Waffen in Deutschland zu stationieren, geht natürlich auf eine veränderte Bedrohungslage zurück, die wir haben. Die russische Regierung hat schon vor einigen Jahren den INF-Vertrag aufgekündigt. Es sind neue weitreichende Waffen nicht nur entwickelt, sondern auch stationiert worden. Gleichzeitig sehen wir, dass sich Russland gegenüber seinen Nachbarn deutlich aggressiver als in der Vergangenheit verhält. Insofern gehört es auch dazu, und da sind sich die Sicherheitsexperten einig, dass es einer nicht nuklearen Abschreckungskomponente auch in Europa, in Mitteleuropa und auch für Deutschland bedarf. Das haben wir im vergangenen Jahr in der Nationalen Sicherheitsstrategie schon einmal unter dem Titel “deep precision strike capability”, wie das auf Neudeutsch heißt, unterlegt. Es geht also darum, sehr präzise weiterreichende Waffen zu entwickeln. Der Bundeskanzler hat das auch im Februar bei seiner Rede auf der Münchner Sicherheitskonferenz noch einmal bestätigt. Wir befinden uns mit der französischen Regierung, mit der britischen Regierung, mit der italienischen Regierung und anderen in Gesprächen darüber, solche Waffen zu entwickeln. Es geht, wie gesagt, um Abschreckung. Das heißt, sie sollen sehr weitreichend, sehr präzise sein, aber sie sollen eben verhindern, dass andere glauben, Deutschland attackieren zu können. Die amerikanische Regierung hatte parallel dazu, weil die Entwicklung solcher Waffen eine ganze Weile dauern wird, entschieden, zwischenzeitlich ‑ ab 2026 ‑ rollierend einige dieser Systeme aus ihrem Depot hier zu stationieren, und die Bundesregierung begrüßt diese Entwicklung.

Frage

Herr Hebestreit, was die Kommunikation angeht, gab es viel Kritik, zumindest hierzulande, als Sie noch in Washington waren. Wann findet denn überhaupt einmal eine Information des Parlaments bzw. der Opposition statt? Herr Merz hat das gestern kritisiert. Wenn man mit Verteidigungspolitikern telefoniert hat, heißt es, sie seien auch nicht informiert worden. Ist so etwas also überhaupt geplant, oder wie kommen wir auf einen weitreichenderen Wissensstand als den, den der Verteidigungsminister und auch der Kanzler in Washington verkündet haben?

Hebestreit (BReg)

In Washington hat der Bundeskanzler und hat dann in mehreren Interviews der Verteidigungsminister doch sehr weitreichend informiert. Wenn es da noch weiteren Beratungsbedarf, Informationsbedarf gibt, dann ist diese Bundesregierung immer willens und in der Lage, den zu befriedigen. Aber ich habe es ja eben auch noch einmal deutlich dargelegt: Wenn das Parlament informiert werden möchte oder da einen Gesprächsbedarf hat, dann gehe ich fest davon aus, dass der Verteidigungsminister ‑ oder wer auch immer sich dazu berufen fühlt ‑ Rede und Antwort stehen wird. Dagegen gibt es also keinerlei Vorbehalte.

Zusatzfrage

Sie haben den US-Wunsch angesprochen bzw. es hat diese Verhandlungen gegeben. Aber wer war denn letztlich der Treiber? War das die Bundesregierung, oder waren es die US-Amerikaner, die gesagt haben, dass es diese Fähigkeitslücke gibt und dass man die jetzt einmal schließen muss? Wer hat also eigentlich einmal grundsätzlich die Idee gehabt, dass man diese Tomahawk-Marschflugkörper beispielsweise in Deutschland stationiert?

Hebestreit (BReg)

Ich glaube, da ergab das eine das andere. Die Bedrohungslage habe ich geschildert. Die Fähigkeitslücke, die schon vor einigen Jahren markiert worden ist, habe ich auch deutlich gemacht. Dann ist halt die Frage, wie man sie kurzfristig schließen kann ‑ das läuft über die Stationierung der amerikanischen Waffen ‑ und wie man sie mittelfristig schließen kann; das läuft über die Entwicklung eigener europäischer Fähigkeiten. Dann hat das eine zum anderen gefunden, und dann ist so etwas natürlich etwas, das man nicht breit auf dem Marktplatz miteinander diskutieren kann, sondern das erst einmal die zuständigen Stellen in den jeweiligen Regierungen diskutieren. Diese Entscheidung ist jetzt vergangene Woche seitens der Amerikaner getroffen worden und ist gemeinsam mit uns am Mittwoch kommuniziert worden, wenn ich mich richtig erinnere. Insoweit kann seit Mittwoch dann auch darüber gesprochen, informiert und es erklärt werden.

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben ja dargelegt, dass die Stationierung dieser Waffen im deutschen Interesse ist. Ist denn schon entschieden und geklärt, wie sich Deutschland finanziell an dieser Stationierung beteiligt, oder ist das eine Frage, die mit einer etwaigen neuen Administration nächstes Jahr geklärt werden wird?

Hebestreit (BReg)

Dazu kann ich zum jetzigen Zeitpunkt nichts Konkretes sagen. Aber eigentlich ist es eine amerikanische Entscheidung, hier Waffen zu stationieren. Das gibt vielleicht einen kleinen Hinweis darauf, was die Antwort sein könnte.

Frage

Herr Hebestreit, Russland hat ja sehr scharf reagiert. Der Sprecher von Herrn Putin hat gesagt, dass als Reaktion auf die Stationierung der US-Waffen von nun an alle europäischen Hauptstädte, also auch Berlin, ins Visier von russischen Raketen geraten. Wie ernst nehmen Sie solche Aussagen?

Hebestreit (BReg)

Solche Aussagen sind grundsätzlich immer ernst zu nehmen. Ich glaube aber, sie enthalten keinen Neuigkeitswert, weil das ja schon eine Reaktion darauf ist, dass die russische Regierung und das russische Militär europäische Hauptstädte ins Visier genommen haben. Insofern ist das vielleicht ein Henne-oder-Ei-Problem.

Zusatzfrage

Ich habe eine Nachfrage an das Auswärtige Amt. In ähnlichen Fällen wurde ja auch schon einmal der russische Botschafter eingestellt. Gibt es irgendwelche Pläne, den russischen Botschafter nach diesen Aussagen einzubestellen?

Fischer (AA)

Ich glaube, Herr Hebestreit hat ja darauf hingewiesen, wie die Sachlage ist, die sich nicht verändert hat. Es gibt diese russischen Raketen, die als Bruch des INF-Vertrags in Europa stationiert sind und europäische Ziele erreichen können. Insofern hat sich die Bedrohungslage nicht verändert, nämlich dass russische Raketen europäische Städte erreichen können. Ein Teil der Antwort darauf ist eben, dass wir die von Steffen Hebestreit beschriebene Fähigkeitslücke mit weitreichenden Waffensystemen schließen werden.

Um es klar zu sagen: Wir lassen uns nicht einschüchtern und lassen uns auch von solchen Äußerungen, die letztlich das Faktische beschreiben, keine Angst machen.

Frage

Ich würde gerne einmal zu verstehen versuchen, was das fachlich bedeutet. Vielleicht kann Herr Collatz helfen, vielleicht wissen aber auch Herr Fischer oder Herr Hebestreit etwas. Neben den Tomahawk-Marschflugkörpern, bei denen die Funktionsweise relativ klar ist, sollen ja die SM6-Raketen kommen. Ich würde gerne verstehen, ob die SM6-Raketen als anti-air-Variante kommen sollen oder ob die als deep-precision-strike-Bodenangriffswaffe kommen sollen. Ist das in irgendeiner Form determiniert oder mit den Amerikanern abgesprochen?

Collatz (BMVg)

Wenn ich da einsteigen soll: Mir sind keine Details bekannt. Soweit ich weiß, ist hier die defensive Variante beabsichtigt. Aber um das herauszufinden, müssten Sie tatsächlich mit den Amerikanern sprechen.

Zusatzfrage

Das heißt, auf politischer Ebene gab es auch keine Vorvereinbarungen dafür, Herr Hebestreit?

Hebestreit (BReg)

Keine, von denen ich hier berichten kann. Da müssten wir uns schlaumachen, ob wir etwas nachreichen können.

Regierungssprecher Steffen Hebestreit
Quelle: Michael Kappeler/dpa
Regierungssprecher Steffen Hebestreit
Quelle: Michael Kappeler/dpa

 

Frage

Herr Hebestreit, Sie haben gesagt, das soll ab 2026 rollierend kommen. Können wir uns darunter vorstellen, dass, wenn es 2026 so etwas wie “Steadfast Defender” geben sollte, dann ein Teil dieses Manövers möglicherweise ein Raketenteil sein wird und die USA dann eben entsprechende Launcher per Lkw oder was auch immer nach Deutschland verlagern werden?

Hebestreit (BReg)

Nein, das ist nicht für einzelne Manöver oder für einzelne Zwecke gedacht, sondern ab 2026. Wie dauerhaft die dann hier stationiert sein werden oder ob immer wieder welche zurück in die USA gebracht und andere hierher gebracht werden, das muss sich dann mit der US-Administration noch genau herausmendeln.

Zusatzfrage

Was ist, was die konkrete Zahl der Abschussbasen angeht? Wenn man sich die Papiere, die in den USA öffentlich zugänglich sind, anschaut, dann können das möglicherweise zwölf Einheiten sein. Haben Sie dazu irgendwelche Erkenntnisse mitzuteilen, wie viele das wären?

Hebestreit (BReg)

Keine, die ich hier mitteilen darf, kann oder möchte.

Frage

Können Sie noch einmal erläutern, wo die auf Deutschland bzw. Europa gerichteten Waffen von russischer Seite stationiert sind? Ich habe gehört, in Kaliningrad und Belarus.

Zweite Frage: Als wie groß schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Russland als Antwort auf die Stationierung amerikanischer Langstreckenwaffen wiederum aufrüstet und das dann sozusagen in einem gegenseitigen Wettrüsten mündet?

Hebestreit (BReg)

Zur ersten Frage kann ich Ihnen von dieser Stelle aus nichts mitteilen. Das, was Sie vermutet haben, habe ich auch gelesen. Aber ob das umfassend ist oder ob es noch andere Stellen gibt, müssen Sie anderweitig klären, vielleicht in Moskau nachfragen. Das kann ich von hier aus nicht liefern.

Zum zweiten Teil: Herr Fischer hatte ja schon deutlich gemacht, dass Raketen stationiert worden sind, die europäische Hauptstädte und Europa erreichen können und bedrohen. Insoweit ist jetzt die Reaktion darauf, dass man diese Fähigkeitslücke schließt. Die Sorge, die Sie ja zu Recht formulieren, dass es jetzt ein neues Wettrüsten geben könnte, ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Deswegen müssen wir gleichzeitig auch mit der russischen Seite wieder in Gespräche kommen, was Abrüstungsinitiativen sein können. Da muss man aber wahrscheinlich einen langen Atem haben. Im Augenblick gibt sich Russland sehr aggressiv. Für diejenigen, die es vielleicht vergessen haben, darf ich noch einmal daran erinnern, dass seitens Russlands immer noch ein erbarmungsloser Krieg gegen die Ukraine geführt wird, der unlängst auch einen massiven Einsatz von Raketen auf die ukrainische Hauptstadt Kiew nach sich gezogen hat.

Insoweit ist klar, dass wir uns perspektivisch einerseits vor Bedrohungen schützen müssen und andererseits auch wieder in eine Abrüstungssituation kommen wollen, indem man mit der russischen Seite wieder Gesprächskanäle öffnet, um zu sehen, wie man wieder in die Mechanismen hineinkommt, die Russland in den vergangenen Jahren nach und nach aufgekündigt hat.

Fischer (AA)

Um das vielleicht noch zu ergänzen: Es geht hier ja um den Bruch des INF-Vertrags durch Russland, also des Intermediate-Range Nuclear Forces Treaty, der schon 1987 geschlossen wurde und in dem vereinbart wurde, dass landgestützte Raketen und Marschflugkörper mittlerer Reichweite ‑ das heißt, einer Reichweite von 500 bis 5 500 Kilometern ‑ vernichtet werden. Der Vertrag hat gleichzeitig verboten, neue Waffen, die in diese Kategorie fallen, zu produzieren oder zu testen. Wir haben ja schon vor mehreren Jahren beobachtet, dass Russland neue Raketentypen dieser Art getestet hat, und wir sind vorhin schon darauf eingegangen, dass diese auch wieder stationiert worden sind ‑ durchaus auch nuklear bestückt.

Insofern gibt es durch den Bruch dieses INF-Vertrags durch Russland ein großes Ungleichgewicht, und wir versuchen jetzt, das durch die Stationierung dieser weitreichenden Abstandswaffen auszugleichen und damit sozusagen unseren Frieden und unsere Sicherheit zu schützen. Vor diesem Hintergrund ist auch die gemeinsame Entwicklung eigener Waffen dieses Typs zu verstehen. Wenn Russland bereit ist, die neu entwickelten und stationierten Waffen wieder zu vernichten, kommen wir gerne auch zu den Vereinbarungen des INF-Vertrags zurück.

Frage

Sie haben die sogenannte Fähigkeitslücke erwähnt. Wann, glauben Sie, kann Europa oder können die europäischen NATO-Verbündeten diese Fähigkeitslücke selber schließen? Es gab ja in Washington auch schon eine Absichtserklärung zu einem Projekt namens ELSA, die unterzeichnet wurde. Reden wir von diesem Jahrzehnt, reden wir von einigen Jahren oder reden wir erst vom kommenden Jahrzehnt?

Hebestreit (BReg)

Das genauer zu präzisieren, wäre jetzt spekulativ. Wir haben das Jahr 2024, und wenn Sie das Jahrzehnt im Jahr 2030 beendet sehen, dann wäre ich skeptisch, ob man so schnell dabei ist, sich eines solch weitreichenden Projekts, zu dem es jetzt einmal Memorandum of Understanding und eine grundsätzliche Bereitschaft gibt, anzunehmen. Insofern gehe ich eher davon aus, dass wir diese Lücke in den 30er-Jahren selbstständig schließen können.

Frage

Herr Hebestreit, was hält die Bundesregierung von der Forderung von Friedrich Merz, sich an der Lieferung von Kampfflugzeugen an die Ukraine zu beteiligen?

An Oberst Collatz: Können Sie noch einmal ausführen, wie die Szenarien einer solchen Lieferung bisher aussehen? Es gibt ja die F-16-Koalition, an der Deutschland nicht unmittelbar beteiligt ist, richtig?

Hebestreit (BReg)

Das ist ja kein ganz neuer Vorschlag. Gleichzeitig verfügt die Bundeswehr, wie Herr Merz sicherlich auch weiß ‑ er hat ja selber Fliegererfahrung ‑ nicht über diesen Kampfflugzeugtyp. Insofern hat man sich darauf verlegt, dass Deutschland nicht an einer solchen Koalition teilnimmt. Es gibt andere Länder, die das tun. Da geht es um die Ausbildung von Piloten, da geht es um die Bereitstellung von Luftfahrzeugen und da geht es auch um die Beschaffung von Munition. Das läuft. Am Rande des NATO-Gipfels ist bekannt geworden, dass erste Flugzeuge noch in diesem Jahr der Ukraine übergeben werden und ‑ wie sagte es der amerikanische Außenminister ‑ im Himmel über der Ukraine auch ihren Dienst tun werden. Das ist das, was jetzt zählt.

Man sollte sich auch nicht vertun: Auch wenn Kampfflugzeuge von außen so ähnlich aussehen, sind sie sehr unterschiedlich zu handeln. Da geht es um langfristige Ausbildung. Es macht also keinen Sinn, der Ukraine verschiedenste Typen von Kampfflugzeugen zu übergeben ‑ unabhängig von der Frage, wer überhaupt in der Lage wäre, solche Flugzeuge zu liefern.

Dass jetzt F-16-Kampfflugzeuge von Dänemark und anderen Ländern ‑ unter anderem den Niederlanden, glaube ich ‑ bereitgestellt werden, unterstützt Deutschland also, aber wir haben keine eigenen und beteiligen uns vor allem mit Luftverteidigung und all den Dingen, die wir hier immer wieder vortragen.

Collatz (BMVg)

Ich kann dazu gerne noch ein paar Worte verlieren, aber nicht wirklich viele und schon gar keine neuen ‑ Herr Hebestreit hat es ja angedeutet, die Frage ist nicht neu. Es hat sich in der Vergangenheit in Bezug auf die Hilfe für die Ukraine herausgestellt, dass es nicht besser wird, wenn alle alles machen wollen, sondern dass es besser ist, wenn wir uns auf das konzentrieren, was das jeweilige Land oder die Länder in Gruppen am besten können. Auf unserer Seite sind da eben die Flugabwehr, die Luftverteidigung, die Artillerie, gepanzerte Fahrzeuge und andere Dinge zu nennen. Von unserer Seite aus in das Kampfflugzeuggeschehen einzugreifen, würde aber keinen Mehrwert bringen.