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Der Westen implodiert

 

Gastbeitrag von Roberto Martínez

 

Die Politiker des Westens

Von Anschlägen und Prozessen

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, als am 6. Januar 2023 eine Menschenmenge nach einer populistischen Rede wütend, mit den besten Absichten, aber voller Hass und aufgeputscht, auf das größte Symbol der amerikanischen Demokratie zu marschierte, einen Wachmann tötete und in den Gängen des Kapitols für Chaos sorgte.

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, als ein CNN-Journalist namens Fernando del Rincón, den ich zusammen mit William Waack von CNN Brasilien und Roberto Cabrini für einen der besten und angesehensten Reporter in Lateinamerika halte, wenn es um Politik geht, den damals im Niedergang begriffenen peruanischen Präsidenten Pedro Castillo in den Seilen hängen ließ, indem er ganz Lateinamerika das Versagen der Regierung des ehemaligen Präsidenten vor Augen führte, und es war in diesem Interview, dass der Beginn seines Niedergangs stattfand. Es gipfelte in einem gescheiterten zweistündigen Staatsstreich, bis die Polizei ihn beim Verlassen des Regierungsgebäudes festnahm. Zu diesem Zeitpunkt hatte Peru eine beeindruckende Bilanz von fünf Präsidenten in weniger als fünf Jahren.

El asalto al Capitolio marcó un antes y un después
Der Ansturm auf das Kapitol markierte ein »Vorher« und ein »Nachher«

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, als ich entdeckte, dass es ein Land unter einer Diktatur namens Nicaragua gab und dass laut Human Rights Watch unglücklicherweise Menschenrechtsverletzungen stattfanden.

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, als am 8. Januar des folgenden Jahres, teils inspiriert von der Bewegung »Vem Pra Rua« (Komm auf die Straße) im Oktober 2014, teils inspiriert von dem Angriff auf das US-Kapitol, auch der »Palacio do Planalto« (Palast der Hochebene) von Demonstranten angegriffen wurde, die vor der Bundespolizei in Brasilia campierten und als eine Art »Befreiungsmarsch« von der »demokratischen Unterdrückung« der oppositionellen PT (Arbeiterpartei) gegen die PL (Liberale Partei) mit Luis Ignacio Lula de Silva als Sieger der letzten Wahlen des damaligen Präsidenten Bolsonaro marschierten; was weit über das hinausging, was im Kapitol geschah, wobei der Tod des Offiziers zurückgenommen wurde, da »seltsamerweise« die Bundespolizei in diesen Stunden im Herzen der brasilianischen Demokratie abwesend war; viele Menschen ließen jedoch zu, dass der »tierische Instinkt«, der »Homo-bios« ihre Vernunft dominierte.

Der Prozess war erfolgreich, und genau wie Lula versprochen hatte, dass er nicht ruhen würde, bis »alle Verantwortlichen« bestraft wären, gipfelte er in Haftstrafen, Geldstrafen und dem Ausschluss von Jair Bolsonaro aus den nächsten Wahlen im Jahr 2026; weit davon entfernt, die polarisierten Stimmungen der Wähler zu beruhigen, ist dieser Tag in den Herzen und Erinnerungen beider Seiten, PT und PL, bei starker Hitze markiert wie durch ein Brandzeichen bei Rindern, das vor Groll und Hass brennt. Ganz zu schweigen davon, dass Lula bei der Besteigung des bereits erwähnten »Palacio do Planalto« vom »Volk« begleitet wurde, da Bolsonaro nicht zur Amtseinführung des neuen Präsidenten erschienen war.

Bolsonaro
Brasiliens Ex-Präsident Jair Bolsonaro während einer Rede

 

Die Akzeptanz unkonventioneller Methoden: ein Symptom

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, dass Nayib Bukele den »maras« (Banden) den Krieg erklärte, nachdem die Verhandlungen mit ihnen gescheitert waren, und einen Kreuzzug gegen alle Personen mit Bandentätowierungen begann; er erschien ganz einfach vor der Legislativversammlung mit der Bundespolizei am Ausgang des Auditoriums, um in bester Manier nach dem Motto »freier und spontaner Druck«, um die Bewilligung eines Kredits zur Finanzierung seiner Jagd gegen die maras zu verlangen, mit seiner Aussage: »(…) wenn sie daran denken, den Kredit zu verweigern, sollen sie es vor denen tun, die ihn benötigen«.

Auf diese Weise und durch seine Aktionen in den sozialen Netzwerken erlangte er seinen Ruhm als »der coolste Diktator der Welt«, ganz zu schweigen von der enormen Popularität und Zustimmung, die er in ganz Lateinamerika für seine unkonventionellen, aber effektiven Methoden genießt.

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, als Nicolás Maduro beschloss, seine Gegner zu verhaften, »auf Hugo Chávez zu hören«, dessen Geist ihm als Vögelchen erschienen war, und einfach das Gebiet »demokratisch zu annektieren«, das nicht über den Landweg erschlossen ist, obwohl es auf dem Festland liegt, und das zu einem souveränen Nachbarland namens Guyana gehört, einer ehemaligen britischen Kolonie, auf die Brasilien Anspruch erhob, aber im 19. Jahrhundert diplomatisch seinen einzig möglichen Zugang zum Karibischen Meer verlor.

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, dass ein Präsident mit dem Namen Mauricio Macri (Juntos por el Cambio/Pro) die Wahlen gegen eine Familie mit dem Namen Kirchner verlor, mit einem Vertreter des Namens Fernández, dessen katastrophales Erbe, eine Mischung aus Populismus und schlechter öffentlicher Verwaltung zu einem ungezügelten Wettlauf führte, darum, welche der Währungen am schnellsten abgewertet werden würde. Es scheint jedoch gestern gewesen zu sein, dass einer in einer Comedy-Show auftrat, mit einem Logo, das der Londoner Subway nachempfunden war, die Regierung kritisierte und Lösungen für das wirtschaftliche Desaster eines amerikanischen Landes anbot, das zu Beginn des 20. Jahrhunderts,  mitten in der europäischen Belle Époque zur ersten Welt gehörte, und was daher den Ausspruch hervorbrachte: »Was glauben Sie, wer Sie sind, reich wie ein Argentinier?«, heute allerdings nicht mehr der Realität entspricht; Dieser »Verrückte«, der den Spitznamen »El Peluca« (Perücke) trägt, erteilte schließlich eine Lektion in Sachen Initiative, Intelligenz und Strategie, indem er die Wahlen mit einer von ihm gegründeten Partei gewann, die es schaffte, kompetente Leute dazu zu bringen, sich spontan und aus freien Stücken seinem Plan anzuschließen.

Javier Milei, Argentiniens neuer Präsident, strebt einen Paradigmenwechsel an

 

Die Kandidatin Patricia Bullrich (Juntos por el Cambio/Pro) schloss sich seiner Kampagne an. Sie ist die derzeitige Sicherheitsministerin und zeigt, wofür sie gekommen ist. Und sie hat sogar noch Spielraum, um das zu halten, was sie in ihrer eigenen Kampagne zum Thema Sicherheit versprochen hatte. Mit der Zeit wird man sehen, ob Javier »El Peluca« Milei der beste Ökonom in Argentiniens Geschichte ist, der er vorgibt, zu sein. Ganz zu schweigen davon, dass Cristina Fernández de Kirchner (Unión por la Patria) die Bitterkeit bei der Ernennung der neuen Vizepräsidentin und des neuen Präsidenten der Nation deutlich ins Gesicht geschrieben stand.

 

Lehren aus Uruguay

In der vergangenen Woche wurde in Ecuador der nationale Notstand ausgerufen, nachdem kriminelle Banden, die dank eines Dekrets des neuen Präsidenten Daniel Noboa (Acción Democrática Nacional) als Terroristen gelten, nachdem eine von ihnen einen Fernsehsender während einer Live-Übertragung im nationalen Fernsehen überfallen hatten und damit die Armee auf die Straße brachten, in einem Land, das in letzter Zeit stark unter Kriminalität und mangelnder Sicherheit gelitten hat, wie seine eigenen Einwohner berichten.

Alle autoritären Maßnahmen, wie legitim die staatliche Gewaltanwendung auch sein mag, scheinen in hohem Maße von der effektiven Sicherheitspolitik von Nayib Bukele in El Salvador beeinflusst zu werden, der in dieser Angelegenheit auch andere Nationen stark beeinflusst.

Während all dies geschieht, wollen wir einen Blick auf Uruguay werfen, ein Land in der Form eines Herzens, metaphorisch für eine Region, die dem echten Herzen entspricht, wenn man den südamerikanischen Kontinent mit einem menschlichen Körper vergleicht, da es östlich des Uruguay-Flusses liegt (daher der Name, eine geografische Lage). Dort fand nun eine der schönsten Darbietungen statt, die ich in meinen 28 Lebens- und insg. 12 Wahljahren in repräsentativen Demokratien erlebt habe (ich nehme an Wahlen in zwei Ländern teil): das Auftreten des Präsidenten Luis Lacalle Pou (Partido Nacional), während der Übergabe der Präsidentenschärpe durch keinen geringeren als Dr. Tabaré Vázquez (Frente Amplio), dem Präsidenten der Republik Uruguay, in seinen letzten Lebenstagen.

Der frühere und der derzeitige Präsident, erteilten eine Lektion in Ritterlichkeit, in Politik, die eine Beherrschung von Männlichkeit und Schlichtheit demonstriert, indem Lacalle Pou bei der Übergabe der Schärpe und der Unterzeichnung der neuen Minister Vázques am Arm zur Kanzel führte und ihm einen aufrichtigen Kuss auf die Wange gab, was sich auf dem Rückweg wiederholte, als Tabaré die Bühne verließ. Es rührt uns, die die repräsentative Demokratie schätzen, zu Tränen, zu sehen, dass ein so kleines Land, das brillante Köpfe in den Bereichen Technologie, Viehzucht und deren Derivate, Zellulose und Getreide hervorbringt, in der Lage ist, einen Gigant im Gegensatz zu anderen Nationen zu sein, die scheinbar alles haben, aber arm an geistiger Freiheit, Entscheidungsfreiheit, Vertrauen, Gleichgewicht und Rechtssicherheit sind.

Luis Lacalle Pou recibiendo la Banda Presidencial de manos del Dr. Tabaré Vazquez, Presidente saliente.
Luis Lacalle Pou (links) beim Erhalt der Präsidentenschärpe, überreicht von Dr. Tabaré Vazquez (rechts), scheidender Präsident

 

Die freie Welt

Diktaturen und Demokratien

Als guter Westler ist es für mich fast unmöglich, die Welt nicht durch die hervorragenden Augen des amerikanischen Politikwissenschaftlers Samuel Huntington mit der Einteilung der Welt in verschiedene Zivilisationen zu betrachten, und als Frucht des Westens ist es für mich als Student der Internationalen Beziehungen fast eine Verpflichtung, nach unkonventionellen, nicht bösartigen Wegen zu suchen, um die Handlungen und Entscheidungen verschiedener Kulturen, Völker, Nationen und Akteure in diesem internationalen Schachspiel zu verstehen. Es ist klar, dass alles, was nicht nach »Wahl« oder »Freiheit« klingt, für ein Kind der »freien Welt« seltsam klingt, wenn man sich jedoch die Definition von Jean-Jacques Rousseau ansieht, der in seinem Werk »Vom Gesellschaftsvertrag« sagt:

»Die Menschen sind in ihrem natürlichen Zustand frei und gleich, aber wenn sie in die Gesellschaft eintreten, verlieren sie einen Teil ihrer Freiheit und unterwerfen sich dem Willen der Mehrheit…«

In diesem Zusammenhang, wenn wir uns in einer repräsentativen Demokratie befinden, ist es der Staat, der die Gesellschaft regelt. Wenn wir also unter der Rechtsprechung dieses Staates stehen, beschließen wir, bestimmte Freiheiten, die wir besitzen, durch bestimmte Rechte zu ersetzen, die uns dieser Staat zugesteht, und so kommt der Westen zu dem Beinamen »freie Welt«, da die Pflichten inder Theorie nicht die Menschenrechte des Einzelnen verletzen würden, oder zumindest stünde die Grenze zwischen den bürgerlichen Freiheiten und den Rechten der jeweiligen Person immer zur Diskussion.

Xi-JInping. El actual presidente de la República Popular China
Xi-JInping, derzeitiger Präsident der Volksrepublik China

 

Dies ist eine reine Eigenschaft des Westens, denn je nach der Philosophie anderer Zivilisationen wissen wir natürlich, dass solche Rechte oder Freiheiten in vielen der Staaten, die nicht zum Westen gehören, nicht berücksichtigt werden; In vielen dieser Staaten ist jedoch die legitime Gewaltanwendung zur Aufrechterhaltung der Ordnung so wirksam, dass die Rate der Raubüberfälle und der bürgerlichen Kriminalität so niedrig ist, dass viele westliche Bürger sich dafür entscheiden, dort zu leben und bestimmte Freiheiten wie den Alkoholkonsum für die Sicherheit und die Garantien dieses Staates aufzugeben, wie im Fall der Fußballspieler, die nach Saudi-Arabien umziehen.

In anderen Ländern hingegen wird die Möglichkeit des Rechts nicht einmal diskutiert. Die Entscheidungen werden anarchisch getroffen, und es wird die »Ordnung« diktiert, die in diesem Gebiet gewünscht wird. Diese Länder werden als Diktaturen bezeichnet. In anderen Ländern wie dem Iran, wo das Recht zwar vom Parlament verabschiedet wurde, der Ayatollah aber schließlich sein Veto einlegt, kann man nicht von einer repräsentativen Demokratie sprechen, in der eine Person aufgrund ihrer Moral ein Veto gegen eine Entscheidung einlegt, die von den Vertretern des Volkes getroffen wurde.

China wiederum ist meiner Meinung nach ein interessanter Fall für die perfekte Anpassung des Manifests der Kommunistischen Partei, wie Karl Marx im Vorwort zur deutschen Übersetzung von 1872 schrieb:

»Das Manifest selbst erklärt, dass die praktische Anwendung dieser Grundsätze immer und überall von den bestehenden historischen Umständen abhängt und dass daher den am Ende des zweiten Kapitels aufgezählten revolutionären Maßnahmen keine ausschließliche Bedeutung beigemessen wird. Diese Passage müsste heute in mehr als einer Hinsicht anders formuliert werden.«

Er ist erfolgreich als Kontrolleur des Individuums und sogar als Kapitalist, auch wenn das vielen Westlern nicht gefällt.

Dies ist unter anderem in Afrika der Fall, wo der Dschihadismus in der Sahelzone enorm zugenommen hat, weil es keinen effizienten Staat gibt, der die Sicherheit seiner Bürger garantiert, und das gilt für jeden Staat, der die Grundbedürfnisse der Menschen in seinem Hoheitsgebiet nicht gewährleistet; er ist wie ein besonderer »Urschleim« für die Entstehung von Aufständen und Extremismus.

Russland wiederum versucht nach den Worten seines Präsidenten Wladimir Putin, dem Westen anzugehören, auch wenn seine Hauptstadt durch eine strategische Entscheidung näher an Europa liegt. So sagte Putin dem Filmregisseur Oliver Stone,

»Ich erinnere mich an unser letztes Treffen mit Präsident Clinton in Moskau. Während dieses Treffens sagte ich zu ihm: Wir haben die Option eines NATO-Beitritts Russlands erwogen, und Clinton sagte: ›Warum nicht?‹ Aber die US-Delegation war sehr nervös.«

Es liegt auf der Hand, dass die Bürgerrechte im heutigen Russland aufgrund der besonderen Situation, in der die Russen leben, verletzt werden. Und auch schon vorher, wie sehr auch bestimmte Dinge ausgewählt wurden, ermutigen die unorthodoxen Methoden seiner Führenden nicht dazu, Russland als eine effektive repräsentative Demokratie anzusehen.

 

Das große Problem

Der Westen hat eine Besonderheit: Obwohl er die »Freie Welt« ist, verletzt diese Freiheit oft die Freiheit der anderen, und das ist die große aktuelle Diskussion im Westen: Wann verletzt meine Freiheit die Freiheit der anderen? Und das ist seine »Achillesferse«, und die Politiker wissen es sehr wohl, sie studieren es, sie perfektionieren es, in der Suche nach dem Limit, und so entstehen populistische und demagogische Figuren, ein wahres Krebsgeschwür für die repräsentative Demokratie. Wir sollten nicht vergessen, dass die Politik, die Möglichkeit, frei zu wählen, voll und ganz ein Produkt des Westens ist.

Schon Platon hat vor zweitausend Jahren darüber gesprochen und in seinem Werk »Die Republik« gesagt: »Die Demokratie begünstigt das Aufkommen von Demagogen und populistischen Führern«. Eine von mehreren Kritiken, die ich in diesem Artikel nicht benennen werde, aber ich muss akzeptieren, dass er Recht hatte, vor mehr als zweitausend Jahren.

Es gibt eine Legende, die besagt, dass Al-Nāsir Ṣalāḥ ad-Dīn Yūsuf ibn Ayyūb, im Westen besser bekannt als Saladin, Erzfeind dieser Zivilisation und großer Anführer der Sarazenen im 12. Jahrhundert, zu einem westlichen König, der ihn fragte: »Wie zerstört man ein Königreich?«, ihm unter anderem Folgendes erwiderte: »Wenn du ein Königreich zerstören willst, beginne damit, seine Jugend zu korrumpieren.« Und genau das tun einige politische Parteien im Westen, indem sie ihre Jugend nicht nur rekrutieren, sondern auch indoktrinieren, um das Erbe der Regierung aufrechtzuerhalten und zu versuchen, sich auf »demokratische« Weise an der Macht zu halten. Im Westen nennen wir das »politische Militanz«, und in der ersten Reihe steht die Jugend, in Bildungsräumen, vor allem an Universitäten, wo sie natürlich im Mittelpunkt der Diskussionen stehen sollte. Die Realität jedoch ist traurig, und die Debatten existieren nicht in ihrer reinen Form, wenn mit rationalen Argumenten nicht versucht wird, andere zu überzeugen, sondern stattdessen ein ständiger Kampf um die »Gründe« geführt wird, ohne die Vernunft walten zu lassen, was zu einem Verständnis darüber führen würde, dass das größte Gut der repräsentativen Demokratie gerade eben die Wahl und die Freiheit sind, ein Umdenken anzunehmen, wenn notwendig. Die überwiegende Mehrheit der Militanz beschließt jedoch, sich innerhalb einer von demagogischen Führern geförderten Diktatur der populistischen Blindheit zu bewegen. Und dies gilt für jede politische Ausrichtung.

Wie der Politikwissenschaftler und Internationalist Professor Heni Ozi Cukier es ausdrückt:

»Nur die Demokratie bietet die Möglichkeit, Entscheidungen zu korrigieren, Fehler rückgängig zu machen und alle vier Jahre richtig zu wählen.«

Es ist bekannt, dass die Regierungsform einer jeden Nation eine Lösung für bestimmte Probleme der jeweiligen Gesellschaft in einem bestimmten Kontext bietet. Doch die Demokratie bleibt die einzige, die in dieser anarchischen Welt zur Selbstkorrektur fähig ist.

 

Ein kritischer Blick auf den Westen

Brasiliens Ungenauigkeiten, die es Deutschland und die Europäische Union erschweren

Die deutsche Diplomatie muss mit den brasilianischen Wahlen Hand in Hand gegangen sein, denn grüner Wasserstoff ist der Kraftstoff der Zukunft, der von Deutschland, Europa und Frankreich sehr begehrt ist und in Brasiliens größtem Naturschatz, dem Amazonasgebiet, einen winzigen Fuß in der Tür hat. Ganz zu schweigen von den Geschäften zwischen Deutschland und Brasilien, wie z. B. die Patente für die Getriebe der »Guarani«-Panzerfahrzeuge, die aufgrund der vagen und ungenauen Worte des brasilianischen Staatschefs die bilateralen Beziehungen zwischen beiden Ländern beeinträchtigten und ein Veto gegen den Verkauf von Waren im Wert von 46 Mio. US-Dollar an die Philippinen zur Folge hatte, wodurch diese gezwungen waren, die fehlenden Teile des Projekts herzustellen.

Luis Ignacio Lula de Silva (izquierda) junto al Bundeskanzler Olaf Scholz (derecha)
Luis Ignacio Lula de Silva (li.) neben Bundeskanzler Olaf Scholz (re.)

 

All dies, ohne auch die mangelnde Kohärenz der Regierungsentscheidungen der Staaten zu erwähnen, die derzeit ein Defizit und Schwierigkeiten bei der Fortsetzung erfolgreicher Entscheidungen früherer Regierungen aufweisen. Und ich spreche nicht nur von politisch-sozialen Visionen, sondern von solchen, die dem Staat einen echten Nutzen bringen, in diesem Fall die Entscheidungen im Bereich der internationalen Beziehungen, ob bilateral oder multilateral, die schlichte Nichterfüllung von Verpflichtungen, wie der lang erwartete Mercosur, der berühmte Vertrag, der mit der EU ausgehandelt wurde, der 1994 begann und schließlich 2023 beschlossen wurde, sich mit Südamerika zu befassen. Brasilien hat dann jedoch aufgrund seines derzeitigen politischen »Fokusses«, einer möglichen Priorität der BRICS, eine Barriere errichtet.

Es scheint, als wäre es gestern gewesen, dass ich einen Vortrag von Luis Lacalle Pou über die Kohärenz staatlicher Entscheidungen einem Lula gegenüber gesehen habe, der ihm nicht erlaubte, auf dem Treffen der Präsidenten der südamerikanischen Länder im staatlichen Fernsehen aufzutreten.

Ich, Roberto Martínez, verfolgte diesen Augenblick, suchte in beiden brasilianischen Staatssendern, und die Rede, von der ich wusste, dass Lacalle sie halten würde, wurde nicht übertragen. Ich war jedoch überrascht von der wunderbaren Art und Weise, in der Lacalle Pou handelte, indem er die Rede live auf dem sozialen Netzwerk Instagram übertrug. Dort forderte Lacalle Pou, sich nicht auf neue ideologische Gruppen zu konzentrieren, sondern die bereits etablierten, wie Mercosur oder CELAC, zu pflegen und auszubauen.

 

Was ist gefährdet und was nicht?

Es gibt einen Generationswechsel in der Politik, eine Generation, die keine Angst hat vor Konflikten, und ich spreche nicht von dem natürlichen, dem der Ideen, sondern ich spreche von Krieg. Eine Generation, die sich nicht vor dem fürchtet, was Karl von Clausewitz einmal als »Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln« definiert hat, eine Generation, die die Schrecken der großen Kriege nicht miterlebt hat, die sich nicht eingehend und unvoreingenommen mit der Geschichte ihrer Ideologien, der Geschichte ihrer Helden oder Führer, mit den positiven bzw. negativen oder einfach nur katastrophalen Folgen ihres Handelns beschäftigt hat.

Sie kennen sie nicht, ein Demagoge hat ihnen seine Version erzählt, sie haben ihm geglaubt, sie haben nicht nachgeforscht, sie haben gekämpft, und jetzt stehen wir vor einem großen Problem: eine repräsentative Demokratie, die in Gefahr ist, zusammenzubrechen und anfällig zu werden für einen anarchischen und diktatorischen Rest der Welt, der miteinander kooperiert, Gewalt ausübt und die internationale Ordnung beeinflusst, die in den letzten 60 Jahren unter dem direkten Einfluss des Westens stand.

Eine Welt, die von den Vereinigten Staaten angeführt wird, die durch den Populismus fast wieder zu ihren polarisierten Anfängen mit Nord und Süd, mit Demokraten und Republikanern zurückkehrt, die, anstatt ihre verschiedenen Staaten zu vereinen, wie es ihr Name sagt, im 21. Jahrhundert fast einmal mehr in einem Bürgerkrieg zerfallen. Eine Welt, die nach wie vor gefährdet ist.

 

China: im Vorteil

China wiederum hat aus seiner Vergangenheit gelernt, und während die Opiumkriege es ständig lehrten, wie ein »ordnungsgemäß rechtschaffener und moralischer« Westen in der Lage war, seine Gesellschaft zu zerstören, nahm die neue politische Ordnung, die heute herrscht, diese Geschichte und verkündete »Nie wieder!« Ihr Wissen reicht sogar bis in die Zeit vor dem Kommunismus als politische Ideologie zurück; ich möchte Sie daran erinnern, was ein chinesischer Diplomat — Lin Zexu — an Königin Victoria zur damaligen Zeit schrieb:

»Ihr Land liegt 60 oder 70 Meilen von China entfernt. Dennoch gibt es barbarische Schiffe, die versuchen, hierher zu kommen, um Handel zu treiben und große Gewinne zu erzielen. Mit welchem Recht verwenden Sie im Gegenzug eine giftige Droge, um dem chinesischen Volk zu schaden? Obwohl die Barbaren nicht unbedingt die Absicht haben, uns zu schaden, ist es ihnen bei ihrem Profitstreben egal, ob sie anderen schaden. Wir fragen uns: Wo ist Ihr Gewissen? Ich habe gehört, dass das Opiumrauchen in Ihrem Land strengstens verboten ist, weil man sich des Schadens, den das Opium verursacht, bewusst ist. Wenn es nicht erlaubt ist, dem eigenen Land zu schaden, dann sollten Sie noch weniger zulassen, dass andere Länder geschädigt werden.«

Wir haben es hier wieder mit einer explosiven Mischung zu tun, die spezieller und feuriger ist als das Innere der Raketen, die heute im Nahen Osten den Westen erreichen: Unwissenheit, Populismus, Demagogie, die sich auf die Massenbewegung solcher Unwissenden oder Sympathisanten spezialisiert hat, und die Tatsache, dass es ihnen nicht erlaubt ist, ihrem eigenen Land zu schaden.

 

Die Verantwortung der Wähler und der wahre Feind des Westens

Deshalb bin ich nicht der Einzige, der den Westen mit einem kritischen Auge betrachtet und feststellt, dass er dabei ist, zu implodieren, aufgrund der eigenen Leute, aufgrund der eigenen Entscheidungen, weil wir selbst es sind, die Wähler, die mit unseren Stimmen all die schlechten Dinge verursachen, die wir vorfinden. Und wir sind nicht in der Lage, mit der gleichen Grausamkeit, mit der wir einen Führer an die Macht bringen, ihn durch ein Amtsenthebungsverfahren abzusetzen; es ist, als gäbe es Motivation lediglich zum Wählen, und wir waschen uns unsere Hände wie Pontius Pilatus und »vertrauen« darauf, dass wir gut gewählt haben.

Nur die Demokratie hat die Möglichkeit, die Fehler der Vergangenheit zu korrigieren, während die derzeitige brasilianische Regierung in ihrer letzten Amtshandlung am 8. Januar sagte:

»Es gibt keine Vergebung für die Putschisten des 8. Januar.«

In Uruguay wurden bereits 1986 die Militärführer der bürgerlich-militärischen Diktatur von 1973 bis 1985 durch ein Referendum »begnadigt«, d.h. die Bevölkerung entschied, die Verantwortlichen der Folterungen und Misshandlungen nicht zu verurteilen, die durch den Missbrauch des legitimen Gewahrsams der Gewaltanwendung, in diesem Fall zur »Aufrechterhaltung der Ordnung«, unterstützt wurden.

Doch das Amnestiegesetz ist bis heute in Kraft, auch wenn es 2009 ein weiteres Referendum durchlief und das uruguayische Parlament 2011 unter der linksgerichteten Regierung (Frenteamplista) ein Gesetz verabschiedete, das das Amnestiegesetz aufhob, dann aber 2013 prompt vom Obersten Gerichtshof mit der Begründung aufgehoben wurde, da es gegen den Grundsatz des Rückwirkungsverbots des Strafrechts und des Rechts auf Rechtssicherheit verstoße, was die rechtliche Stabilität dieses kleinen großen Landes zeigt. Ganz zu schweigen davon, dass Argentinien den ersten zivilen Prozess gegen Militärangehörige in der Weltgeschichte führte.

Ciudadanos votando
Die Relevanz der Wählenden wird meist ignoriert

 

Brasilien seinerseits war 2019 Schauplatz von etwas, das manche als eklatante Verletzung der Menschenrechte ansehen würden, nämlich der Zensur von Äußerungen, der Eröffnung von Diskussion in der Bevölkerung und im Parlament über das Recht, sich in sozialen Netzwerken zu äußern, aufgrund von Prozessen und Verordnungen des Richters Alexandre de Moraes des Obersten Bundesgerichts, den viele für einen Diktator hielten. Und tatsächlich war sein Verhalten ähnlich, wobei andere Richter seine Maßnahmen unterstützten, was die Unordnung zeigt, die Brasilien derzeit aufgrund dieser Polarisierung besitzt.

Die positive Propaganda für Brasilien überlasse ich dem ausgezeichneten deutschen Politikwissenschaftler und Internationalisten Professor Oliver Stuenkel, der eine eher optimistische Sicht auf Brasilien hat, im Gegensatz zu Heni Ozi Cukier, der eine eher realistische Meinung vertritt. Stuenkel und Ozi Cukier haben wiederholt gute Debatten über ihre Ansichten zu Brasilien geführt, und ich erwähne Stuenkel in diesem Artikel, denn über Brasilien zu sprechen bedeutet, über Südamerika zu sprechen, aufgrund des regionalen Einflusses.

Ich fühle mich verpflichtet, erneut Uruguay zu zitieren, das im Gegensatz zu seinen Nachbarn bei der Verabschiedung der Mandate seiner Führer im Zuge der letzten Wahlen nicht nach dem Namen einer Person, einer Partei oder einer Koalition gerufen hat, sondern nach einer Nation, denn sie riefen: »Uruguay, Uruguay! Uruguay, Uruguay!«, und das ist es, was eine starke repräsentative Demokratie ausmacht, in der die Wähler das wertvollste Gut benennen, das ein Bürger haben kann; sie rufen den Namen dessen, was sie bewahren wollen und für das sie sich einsetzen: ihre Nation.

Der ehemalige brasilianische Wirtschaftsminister Paulo Guedes erklärte in einem in seinem Land sehr populären Podcast: »Die Welt könnte sogar autoritär regiert werden«, was zeigt, dass er die Möglichkeit, dass die Welt von autoritären Regierungen bestimmt wird, bereits am Horizont erkennen kann. Uruguay ist jedoch das Beispiel, das mir Hoffnung gibt, dass die Macht der Bürgerinnen und Bürger in einem Staat noch immer den Unterschied ausmachen kann. Und zwar auf die gesündeste Art und Weise.

Die anderen Zivilisationen sind nicht die Ursache für das Schwanken des Westens, der Iran und die BRICS sind nicht mächtig genug, um offen eine große politische, wirtschaftliche oder vielleicht militärische Front gegen den Westen zu eröffnen. Und es läge auch nicht in ihrem gemeinsamen Interesse, dies zu tun, da die Hälfte der BRICS-Länder dem Westen freundschaftlich gestimmt ist. Und Afrika selbst verfügt noch nicht über die erforderlichen Strukturen in seiner Staatengemeinschaft, um sich für einen Einfluss innerhalb der eigenen Region zusammenzuschließen, wie es China auf seinem eigenen Kontinent und im Südchinesischen Meer tut.

Man könnte sagen, dass die Führenden mit ihren Egos, Eitelkeiten und Ambitionen die Ursache für diese Unordnung sind, aber ich, Roberto Martínez, mache uns, die Wähler in Lateinamerika, dafür verantwortlich, dass wir uns oft von Demagogen leiten lassen und Populisten folgen und falsch wählen, und wir haben nicht das Rückgrat, die Konsequenzen zu tragen, zu lernen und die Entscheidung, falsch zu wählen, nicht zu wiederholen, ohne den politischen Plan der Kandidaten zu prüfen und gut zu wählen, wer uns repräsentiert, und daraus kann ich schließen, dass die auf Ignoranz basierende Wahl der wahre Feind des Westens ist.

 

Autor: Roberto Martínez

Roberto Martínez

STUDENT IM BEREICH »INTERNATIONALE BEZIEHUNGEN« & UNTERNEHMER

In Besitz der Uruguayischen und der Brasilianischen Staatsbürgerschaft