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Erich Vad: Merkel-Berater im Interview

Zur Person: Dr. Erich Vad ist Unternehmensberater, Universitätsdozent und Buchautor. Der Brigadegeneral a.D. war von 2006 bis 2013 Gruppenleiter im Bundeskanzleramt in Berlin, Sekretär des Bundessicherheitsrates und Militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin Angela Merkel.
 
 
Erich Vad neben der damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel
Erich Vad neben der damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel

Herr Vad, könnten Sie uns kurz schildern, wer Sie sind und welche Aufgaben Sie als Militärberater haben?

Ich war in der Regierungszeit von Angela Merkel, in ihrer ersten Halbzeit, von 2006 bis 2013, Gruppenleiter im Bundeskanzleramt und militärpolitischer Berater der Bundeskanzlerin. Ich habe sie in allen Fragen der Sicherheit, der Rüstungszusammenarbeit beraten. Ich war in der Zeit Sekretär des Bundessicherheitsrates, das ist das höchste Gremium in Deutschland für diese Fragen, und ich war zuständig für alle Fragen der Verteidigung, der Militärpolitik und besonders der Militäreinsätze. Das war damals im Schwerpunkt der Afghanistan-Einsatz, ich war mehrfach mit der Bundeskanzlerin in Afghanistan.

Was verbindet Sie beruflich mit der heutigen Bundesregierung?

Ich bin jetzt selbstständiger Unternehmensberater und habe naturgemäß sehr viele Kontakte nach Berlin und in den politischen Raum, weil ich dort lange als Berater gearbeitet habe. Insofern werde ich oft gefragt von deutschen Medien, wie ich zu bestimmten Dingen stehe, vor allem zum Ukrainekrieg.

Der Ukrainekrieg ist nicht der erste Krieg, den wir auf dem europäischen Kontinent erleben. Wir hatten den Balkankrieg, den Krieg in Georgien. Warum hat also der Krieg in der Ukraine eine solche Bedeutung?

Die Bedeutung dieses Krieges kommt auch daher, dass er auch ein Stellvertreterkrieg zwischen zwei großen geopolitischen Rivalen ist, zwischen den USA und Russland, der sich auf europäischen Boden abspielt. Im Balkankrieg und im Georgienkrieg 2008 standen hinter Kriegen auch andere Mächte mit ihren Interessen. Die Ukraine ist das erste Land, welches Russland völkerrechtswidrig überfallen hat. Es ist ein Selbstverteidigungskrieg eines angegriffenen Landes, und wir helfen diesem Land mit militärischer Unterstützung, weil das im Sinne der »Charta der Vereinten Nationen« ist. Der Krieg hat eine ganz andere Dimension als die Balkankriege und der Krieg in Georgien 2008. Dieser Krieg hat ein großes Eskalationspotenzial bis hin zu einem begrenzten Nuklear-Krieg. Ich war 2008 auf dem NATO-Gipfel in Bukarest mit der Kanzlerin. Da ging es um die Frage eines NATO-Beitritts der Ukraine und Georgiens. Deutschland war damals zusammen mit dem französischen Staatspräsidenten gegen eine schnelle Aufnahme der Ukraine und Georgiens.

Die Sanktionen, die wir europäischerseits und deutscherseits gegen Russland verhängen, schaden massiv auch unserer eigenen Wirtschaft. Das muss man sehen. Wir haben durch diesen völkerrechtlichen Angriff auf die Ukraine Russland als Energielieferanten für Europa und Deutschland verloren. Das eingermaßen einvernehmliche Verhältnis, das wir zu Russland hatten, ist nicht mehr so, wie es war. Insofern hat dieser Krieg eine ganz große Bedeutung für uns.

Erich Vad
Erich Vad

Präsident Putin bekräftigt, dass die Osterweiterung der NATO kein Garant für die Sicherheit Russlands sei. War es ein Fehler, über die Möglichkeit eines NATO-Beitritts der Ukraine zu diskutieren?

Meiner Meinung nach müssen wir legitime Sicherheitsinteressen Russlands berücksichtigen. Auf der anderen Seite: Die Geschichte der NATO-Erweiterung ist auch eine Geschichte von vielen Völkern, die aus der russischen Hegemonie heraus wollen. Zum Beispiel die baltischen Staaten, Polen, Bulgarien, Rumänien, Tschechien, die Slowakei, alle diese Länder waren froh über die NATO-Erweiterung. In der ersten Phase der NATO-Erweiterung haben wir sehr stark die russischen Interessen berücksichtigt. Die NATO hat in den 90er Jahren eine NATO-Russland-Grundakte entwickelt. Wir haben Russland in die G8 geholt, und in die Welthandelsorganisation und anderes mehr. Das heißt, wir haben politisch und diplomatisch diese in strategischer Hinsicht negativen Auswirkungen einer NATO-Erweiterung für Russland abgefedert. Die Russen hatten das so akzeptiert. Das hat der Westen ein paar Jahre später nicht mehr gemacht. Und insofern entstand dieser für Russland bedrohliche Eindruck einer NATO-Erweiterung gen Osten, vor allen Dingen im Hinblick auf die Ukraine. Aus meiner Sicht war es ein Fehler des Westens, die Ukraine in die NATO aufnehmen zu wollen. Ich denke, dass ein neutraler Status zwischen den Machtblöcken besser für die Zukunft wäre. Das sagte auch Henry Kissinger kurz vor seinem Tode. Es wäre besser, wenn die Ukraine weder ein Vorposten Russlands, noch ein Vorposten der NATO wäre.

Herr Vad, Sie sagten einmal im Interview: »Die Eindimensionalität der deutschen Außenpolitik sei nur schwer zu ertragen.« Das ist eine unbequeme Wahrheit. Auch Jens Plötner, der Außen- und Sicherheitsberater von Bundeskanzler Olaf Scholz sagte im Jahr 2022 bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik: »Mit 20 Panzern vom Typ Marder könne man viele Zeitungsseiten fühlen. Aber größere Artikel darüber, wie in Zukunft unser Verhältnis zu Russland sein wird, gibt es weniger.« Plötner wurde stark kritisiert. Warum hat die deutsche Regierung die Diplomatie vergessen und sich nur auf Waffen konzentriert?

Das ist eine sehr gute Frage. Ich finde es richtig, dass wir die Ukraine mit Waffen unterstützen und unterstützt haben. Mir fehlen dabei ein strategisches Konzept für den Umgang mit diesem Krieg und das gleichzeitige Setzen realistischer, erreichbarer politischer Ziele. Im letzten Jahr behauptete unsere Außenministerin, man müsse die Krim und den Donbass zurückerobern. Gleichzeitig bezeichnet man hat unsere gelieferten Waffen, vor allem die deutschen Waffensysteme Leopard 2, aber heute auch Taurus, als Gamechanger, die einen für die Ukraine positiven Wendepunkt des Krieges herbeiführen. Das ist nicht der Fall, aufgrund des militärischen Kräfteverhältnisses in der Ukraine und der russischen Eskalationsdominanz. Für mich ist es ein Fehler, dass man nur Waffen liefert, aber keine diplomatischen Anstrengungen unternimmt, keine Initiativen zur Konfliktbeendigung ergreift, dass man nicht darüber diskutiert, wie man aus dem Krieg herauskommt. Das halte ich für einen großen Schwachpunkt.

Und warum das so ist? Europa hat sich zu einfach hinter den Amerikanern abgeduckt und im Prinzip das getan, was Washington vorgegeben hat, vor allem die deutsche Außenministerin. Aber jetzt wird so eine Linie schwierig, weil die Amerikaner mehr oder weniger aus der Unterstützung der Ukraine auszusteigen scheinen, und ein möglicher künftiger Präsident Donald Trump hat schon sehr deutlich gesagt, dass sein Schwerpunkt China und der Mittlere Osten sein wird, aber nicht Russland und die Ukraine.

Damit wird es zu einer Europäisierung dieses Krieges kommen, die nicht im Interesse Europas ist. Ich muss sagen, dass ich auch das für einen Fehler halte, den Deutschland und Europa dringend korrigieren müssen. Wir brauchen Initiativen für einen Waffenstillstand aus Europa. Das heißt nicht etwa, die weiße Fahne zu hissen oder zu kapitulieren. Es geht darum zu sehen, dass es keine militärische Lösung des Krieges gibt, wenn man nicht selbst zur Kriegspartei werden will. Waffenlieferungen an die Ukraine haben nur den Sinn, die Ukraine zu stabilisieren, militärisch gesehen. Die Lage ist im Moment nicht sehr gut, weil wir viel zu viel Zeit haben vergehen lassen. Es gab in der Vergangenheit bessere Gelegenheiten für Gespräche und Verhandlungen, zum Beispiel nach dem Abzug der Russen Ende 2022 aus Charkiw. Ich finde es sehr bedauerlich, dass unsere Politik und unsere Außenministerin den Krieg und den Konflikt mit den Russen eher anheizt und verstärkt, anstatt nach Lösungen zu suchen, zumindest nach einem Interessenausgleich. Deswegen habe ich in Deutschland viel Kritik bekommen, und bekomme sie immer noch.

Erich Vad neben der damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Afghanistan.
Erich Vad neben der damaligen deutschen Kanzlerin Angela Merkel in Afghanistan.

Für viele gilt das Argument, dass Putin nicht verhandeln will. Das halte ich nicht für richtig. Im März 2022 sind Russen und Ukrainer ins Gespräch gekommen. Der Krieg und das Töten aber gingen weiter. Warum waren die Verhandlungen erfolglos?

Es gab Friedensgespräche in Istanbul, die zu Beginn des Krieges sehr erfolgreich waren. Großbritannien und auch die Amerikaner waren im Prinzip dagegen, weil sie die beiden Garantiemächte des Budapester Memorandums von 1994 sind, in dem die territoriale Integrität der Ukraine festgelegt wurde und sie fühlten sich daran gebunden. Ich glaube, deswegen haben sie das im Grunde genommen boykottiert. Aber ich muss sagen, mit Putin nicht verhandeln zu können, ist eine Behauptung, die so nicht stimmt. Es ist während des Krieges im letzten Jahr zum Beispiel dieses Getreideabkommen mit den Vereinten Nationen ausgehandelt worden, unter Vermittlung des türkischen Präsidenten Erdoğan, mit Putin. Die Türkei hat ständig mit Russland verhandelt. Sie hat in den letzten Jahren auch ein bilaterales Wirtschaftsabkommen mit Russland ausgehandelt.

Erdoğan und Putin haben sich oft getroffen, die Türkei ist gleichzeitig der NATO-Partner mit der zweitwichtigsten Armee der NATO, den wir haben. Es ist nicht irgendein Land. Daran kann man ersehen, dass das, was immer gesagt wird, mit Putin, könne man nicht verhandeln, dass das nicht stimmt. Es sieht im Moment so aus, dass die Russen das militärische Übergewicht in der Ukraine haben. Sie drängen die Ukrainer deutlich zurück, militärisch gesehen, und es ist durchaus möglich, dass sie im Laufe des Jahres noch im Raum Odessa und Charkiw offensiv werden könnten.

Im Moment kann es sein, dass die Russen tatsächlich kein großes Interesse mehr an Verhandlungen haben, aber wir Europäer sollten ein massives Interesse daran haben. Ich denke, je länger wir warten, umso mehr wird dieses Land zerstört, umso mehr unschuldige Soldaten sterben, junge Ukrainer wie junge Russen. Und umso unwahrscheinlicher wird es, dass man einen vernünftigen Interessenausgleich zwischen der Ukraine und Russland aushandeln kann. Ich sage das übrigens schon seit mehr als einem Jahr, weil sich diese militärische Lage schon sehr früh abzeichnete, dass man einen militärischen Sieg über Russland nicht erringen kann.

Ein baldiges Ende des Krieges scheint unmöglich. Die Russen behaupten, Russland und Washington haben den Schlüssel zur Beendigung des Konfliktes in der Ukraine.

Ja, ich glaube, dass Russland und die USA ganz entscheidende Akteure in diesem Krieg sind. Das Problem ist, dass wir in den USA jetzt Wahlen haben, es gibt Wahlkampf und die Präsidentschaftswahlen sind erst im November gelaufen und wir wissen nicht genau, was der neue amerikanische Präsident tun wird. Wir kennen nur seine Verlautbarungen aus dem Wahlkampf, aber ich weiß nicht, ob die so valide sind. Ich denke, die Russen warten einfach ab und nutzen dieses Zeitfenster bis November noch für weitere militärische Eroberungen in der Ukraine. Sie haben nicht die Kraft, die ganze Ukraine zu besetzen und die Russen haben derzeit auch nicht die militärische Kraft, die NATO anzugreifen, aber sie werden sicherlich eher diese militärischen Erfolge weiter ausbauen als jetzt verhandlungsbereit zu sein.

Man sagt immer in Deutschland, dass die Ukraine den Krieg gewinnen muss. Ich möchte die Frage andersherum stellen: Warum darf die Ukraine den Krieg nicht verlieren?

Dem ist nicht so. Teile der deutschen Politik und Öffentlichkeit sagen, die Ukraine müsse gewinnen, ein bedeutender Teil sagt, sie dürfe nicht verlieren. Sagen wir es einmal so: Die Ukraine kann diesen Krieg militärisch nicht gewinnen, schon deshalb, weil Russland die stärkste Nuklearmacht der Welt ist und man eine Nuklearmacht nicht einfach so niederringen kann. Wenn es um strategisch wichtige Regionen geht wie die Krim und damit den russischen Zugang zum Schwarzen Meer — ist das für Russland nicht verhandelbar. Es ist ähnlich wie bei der der Kubakrise 1962. Der amerikanische Präsident Kennedy konnte es damals nicht zulassen, dass aus strategischen Gründen die Sowjets auf Kuba militärisch Fuß fassten, weil die Karibik und Panama eine strategisch sehr wichtige Region für die USA waren und sind. Sie haben dort auch Militäroperationen durchgeführt. Eine ähnlich strategische Bedeutung haben die Krim und der Donbass für Russland. Wenn dieser Eckpfeiler wegfiele, wären sie keine Weltmacht mehr, das bedeutet zugleich: Die Russen können aus ihrer Sicht aus der Krim und aus dem Donbass nicht wieder heraus. Wenn sie aufgrund militärischemn Druckes weichen müssten, den es im Moment nicht gibt, dann würden sie auch Nuklearwaffen einsetzen.

Herr Vad, lassen Sie uns auch über die Zeitenwende sprechen. Am 27.Februar 2022 hat der Bundeskanzler Olaf Scholz im Bundestag gesagt: »Wir erleben eine Zeitenwende. Und das bedeutet: Die Welt danach ist nicht mehr dieselbe wie die Welt davor.« Zwei Jahre ist das her. Aber was ist eigentlich diese Zeitenwende?

Zeitenwenden hat es immer gegeben. Wenn Sie zurückschauen in die Geschichte, unsere Wiedervereinigung, der Zusammenbruch des Warschauer Paktes bedeutete auch eine gewaltige Zeitenwende. Und die Zeit nach dem letzten Weltkrieg war auch eine Zeitenwende. Denken Sie nur an die Berlin Blockade, den Koreakrieg, den Ungarischen Volksaufstand in den 50er Jahren oder an die Kubakrise 1962 oder das gewaltsame Niederschlagen des Prager Frühlings 1968. Der Bundeskanzler wollte zum Ausdruck bringen, dass sich für Deutschland einiges geändert hat. Wir haben in der Vergangenheit unsere Sicherheit mehr oder weniger aus den USA bezogen und das ist vorbei, weil die Amerikaner vorrangige Interessen im Indo-Pazifik haben und sie sich hier stärker gegen China aufstellen wollen. Das ist übrigens auch eine Zeitenwende. Wir müssen übrigens auch unsere Streitkräfte, die in einem schlechten  Zustand sind, endlich wieder verteidigungsfähig machen, was uns sehr viel Geld kosten wird. Das dürfte der Bundeskanzler ungefähr meinen, wenn er von einer Zeitenwende spricht.

Sie waren militärpolitischer Berater im Kanzleramt. Wenn Sie Berater von Olaf Scholz wären, was würden Sie ihm raten?

Ich würde ihm raten, dass man mit der militärischen Unterstützung der Ukraine weitermacht, dass man, vielleicht zusammen mit Frankreich und Polen im Weimarer Dreieck — das ist das Format, das diese drei Länder verbindet — versucht, eine Waffenstillstands-Initiative zu starten, von Deutschland aus. Das halte ich als ersten Schritt für wichtig. Und dass man versucht, mit Putin ins Gespräch zu kommen, dass man einfach einen Gesprächsprozess startet, der das Ziel Waffenstillstand und später Frieden hat. Und ich würde ihm raten, dass wir stärker auf unsere nationalen Interessen achten müssen und nicht immer das machen, was Washington uns vormachen will. Kurz gesagt: aus europäischer Sicht und Interessenlage müssen wir — trotz der gemeinsamen Risikoeinschätzung — China anders als die USA bewerten. Das gilt auch für Russland, das räumlich tausende Kilometer von den USA getrennt, aber unser unmittelbarer Nachbar in Europa ist, mit dem nach dem Ukrainekrieg ein Modus Vivendi gefunden werden muss, so schwer uns diese Vorstellung im Moment fällt wegen des völkerrechtswidrigen Überfalls auf die Ukraine.

Ja, und am 12. Juni 2021, vor dem Krieg, veröffentlichte Putin einen Artikel in Form einer historischen These zur Erklärung des Krieges. Der Artikel heißt: »Zur historischen Einheit von Russen und Ukrainern«. Da untermauert Präsident Putin, dass die Ukraine die rote Linie der Russen ist. Warum wurde das nicht als Ultimatum interpretiert?

Wir haben eine massive Interessenkoalition. Es gab starke Kräfte im Westen, die wollten die Ukraine möglichst schnell in die NATO aufnehmen. Für mich bedeutete das immer eine rote Linie der Russen. Übrigens, diese Formulierung, dass der NATO-Beitritt der Ukraine eine knallharte, dunkelrote Linie der Russen ist, stammt von dem damaligen amerikanischen Botschafter in Moskau, William Joseph Burns. Der hatte diese Bewertung abgegeben und diese Bewertung hat die damalige deutsche Regierung unter Angela Merkel auch sehr, sehr ernst genommen und ich nehme sie bis heute ernst.

Man muss natürlich auch sehen, dass die Ukraine da eben auch in sich gespalten ist. Im Osten der Ukraine leben sehr viele Menschen, die eher einen engen Schulterschluss mit Russland wollen und in der Westukraine ist das etwas anders. Das Land war und ist in diesen Fragen nicht wirklich eindeutig. Ich denke, es war ein Fehler, dass man das nicht ernst genommen hat. Der Krieg ist auch eine Folge des Sicherheitsdenken Russlands und des Umgangs des Westen mit dieser roten Linie der Russen.

Sie, Herr Vad, haben in einem Interview mit dem Medium »Emma« von Alice Schwarzer einen Satz von Helmut Schmidt zitiert. Es gibt einen anderen Satz, den ich persönlich sehr passend finde: »Was mir Leid tut, das ist der Dilettantismus, mit dem die Regierung in Europa reagiert oder nicht reagiert.« Haben Europa und die europäische Diplomatie auf Putin mit Dilettantismus reagiert?

Na ja, ich muss sagen: Europa — Was ist Europa? Wer ist Europa? Das ist nicht die Kommissionspräsidentin, denn sie ist ja nicht demokratisch legitimiert. Europa ist noch weit weg davon, ein eigenständiger Außen- und Sicherheitspolitischer Akteur zu sein. Im Moment zeichnet sich das noch nicht ab, aber ich denke, wir sind aufgrund der Entwicklung in der Ukraine dazu gezwungen, früher oder später mit Verhandlungsinitiativen zu kommen.

Der Bundeskanzler lehnt die Taurus-Lieferung weiterhin ab. Hat er eine richtige Entscheidung getroffen?

Er hat die richtige Entscheidung getroffen, und zwar vor allen Dingen wegen der Reichweite und auch wegen der hohen Zerstörungskraft. Und auch aus verfassungsrechtlichen Gründen, denn um das Waffensystem optimal einsetzen zu können, müssten wir deutsches Personal auch in der Ukraine einsetzen und auch aus Deutschland die Steuerung der Zieldaten fahren. Das wäre quasi rechtlich gesehen eine Kriegsbeteiligung. Mit dem Taurus kann man von der Ukraine aus Moskau erreichen. Wenn ein deutsches Waffensystem auf dem Roten Platz einschlüge, hätten wir eine sehr hohe Eskalationswahrscheinlichkeit auf Seiten der Russen. Es wäre auch eine sehr unkluge, unbesonnene Entscheidung. Sie könnte wieder die alten Ressentiments gegen die schüren. Deswegen halte ich diese Entscheidung von Bundeskanzler Scholz für richtig. Ich habe ihn dazu in den Medien stark unterstützt.

Herr Vad, vielen Dank für das Interview.