Die veränderte geopolitische Lage: Die globale Dimension der Zeitenwende
Russlands Angriffskrieg hat tiefgreifende Folgen für unsere außenpolitischen Grundsteine. Diese neue Realität hat zudem zahlreiche Fragen zur Ausrichtung der Energie- und Rohstoffpolitik der Europäischen Union aufgeworfen. Viele Statements der EU- als auch der US-Politik, wie der ,»Wandel durch Handel« oder ,»Soft-Diplomatie« wurden bereits kontrovers diskutiert. Themen, die bisher weniger Aufmerksamkeit von Seiten der Politik bekommen haben, rücken auf einmal in den Vordergrund, wie z.B. die Beziehungen zu Lateinamerika. Dies stellt eine geopolitische Konsequenz des russischen Angriffskriegs und eine globale Dimension dieser Zeitenwende dar.
Das erste Mal seit über 70 Jahren gibt es wieder Krieg in Europa, der am 24. Februar 2022 begann. Wenige Tage darauf sprach der deutsche Kanzler Olaf Scholz (SPD) vor dem Bundestag von einer »Zeitenwende«. Der Begriff ging um die Welt. In der Öffentlichkeit mit Fachleuten aus verschiedenen Bereichen wurde intensiv über dieses neue Konzept diskutiert, aber von der exakten Dimension dieser neuen Ära ist relativ wenig die Rede. Was genau ist die globale Dimension dieses Epochenwechsels?
Chinesischer Einfluss in Südamerika: das Scheitern der westlichen Außenpolitik
Wenn wir an China und eine geopolitische Weltkarte denken, finden wir etwas Interessantes, das zugleich beunruhigt. China hat einen großen Anteil an der wirtschaftlichen und außenpolitischen Kontrolle der Welt, mit Ausnahme einer Region: Lateinamerika.
Die bipolare Weltordnung fand ein jähes Ende mit dem 24. Februar 2023 – seitdem tragen die politischen Akteure neue geopolitische Rollen. Bisher spielte sich Chinas Weg zur Supermacht erfolgreich im Hintergrund ab, ohne große Aufmerksamkeit des Westens. Im Laufe der Jahre hat China seine diplomatische Strategie jedoch von einer passiven zu einer proaktiven Haltung gerändert. Diese diplomatischen Bemühungen haben viele grundlegende Elemente der Weltordnung verändert. Während Russland als Verlierer aus dem Krieg geht, mit Zielen, die nicht erreicht wurden, ist der eigentliche Gewinner China, so Prof. Dr. Carlo Masala, Politikwissenschaftler und Professor für Internationale Politik an der Universität der Bundeswehr in München. Daraus folge, dass China an einer raschen Beendigung des Krieges kein Interesse habe. Ein Beweis dafür: seine diplomatische Antwort. Während die meisten Länder Sanktionen verhängten, erklärte China eine »Diplomatie der Freundschaft mit Russland«. Die unterschätzte Rolle Chinas ist eine der größten Fehlkalkulationen des Westens.
EU-CELAC-Gipfel: Chinas Einfluss begrenzen
China verdrängt die USA als Hauptinvestor in Lateinamerika. Diese Dynamik wird sich angesichts der Entscheidung Pekings, neue Partner zu finden, verstärken. Lateinamerika spielt eine große Rolle im Wachstumsplan Chinas. Während die USA und die Europäische Union versuchen die internationale Ordnung zu modernisieren, ist China bereits einen Schritt voraus.
Auch angesichts der Energieproblematik haben die europäischen Länder bemerkt, dass neue Energielieferanten und -allianzen gebraucht werden. Bisher war in diesem Bereich auch vor allem China in Lateinamerika aktiv. Mit Bezug auf die starke Präsenz Chinas, spielen die Beziehungen der EU-CELAC eine sehr wichtige Rolle. Hier geht es darum, die Relevanz der Außenpolitik in Lateinamerika in Zeiten der Zeitenwende und bedeutungsschweren Shifts im globalen Gefüge zu erkennen und zu nutzen, um den Einfluss von China und Russland in Lateinamerika zu verringern. Die Hauptziele des EU-Gipfels am 17. und 18. Juli in Brüssel waren:
1. Ein Handelsabkommen zwischen der EU und dem Mercosur und damit die größte Freihandelszone der Welt zu schaffen,
2. das Potenzial Lateinamerikas als Energielieferant zu erörtern,
3. den Einfluss Chinas in Lateinamerika zu verringern.
Wie agieren Deutschland und die Europäische Union, wenn in Zukunft Metalle im Kern von außenpolitischen Rohstoffkonflikten stehen? Was passiert, wenn lateinamerikanische Regierungen Lithium nur nach China liefern? Es ist an der Zeit, dass Berlin und Brüssel eine neue Strategie entwickeln.
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen kümmert sich bereits um ein neues Investitionsprogramm. Regierungen fordern eine schnellstmögliche Präsenz der EU-Länder in Lateinamerika. Der amerikanische Botschafter in Argentinien Marc Stanley erklärte in Washington: »Die USA braucht mehr Instrumente, um mit China im Süden zu konkurrieren.« Die Angebote Chinas sind attraktiv, weil seine Diplomatie direkter und pragmatischer ist und mit Investitionen verknüpft ist. Europa muss daraus lernen und nicht nur über Menschenrechte und Demokratie sprechen, sondern auch gesprochenes umsetzen, ganz dem Motto »Taten sagen mehr als Worte«. Wir stehen am Anfang der Zeitenwende der Beziehungen zwischen Europa und Lateinamerika – diese Chance sollte genutzt werden.